Es ist nicht leicht, dafür einen Anfang zu finden.

Meine Mutter hatte Krebs - Streukrebs. Sie rauchte viel - mein Vater nicht minder. So, wie er mir erzählte, haben sie mehr wie einmal probiert, damit aufzuhören. Doch mal fing einer wieder an - so zog der Andere nach.
Eben, wie ein Ehepaar das macht.

Doch wie gesagt, meine Mutter ging zum Arzt, weil sie Kopfschmerzen bekam, die sie mit ihren Heilbücher nicht weg bekam.
Der Arzt untersuchte sie und fand Nichts, was dafür verantwortlich sein könnte.
Auf dem Weg raus, fragte er noch mehr beiläufig:"Frau Mißfeldt, wann waren sie eigentlich zuletzt beim Arzt ?"

"Ähh, ich glaube bei der Geburt meines Sohnens - 1975 ?!"

Er sah sie an und zog sie noch mal in den Raum. Danach weiß ich nur, daß er den Rettungswagen rief.

Auf den Weg zum Krankenwagen erteilte meine Mutter dem Arzt noch Anweisungen, was er uns doch ausrichten solle;
"Das Essen für meinem Mann steht auf dem Herd; er braucht es nur an machen.
In der Mikrowelle steht die Kohlrabbi für meine Tochter und im Öffchen ist Suppe, wenn mein Sohn nachhause kommt..."

"Frau Mißfeldt, sie haben einen Blutdruck jenseits von Gut und Böse und sie machen sich Sorgen wegen dem Essen...?"

Doch fuhr sie zum Krankenhaus - ich erfuhr erst später davon. Ein Rundruf von meiner Schwester bei meinen Freunden ergab nichts. Ich war noch Einkaufen in Brühl.

Es vergingen Wochen, doch konnte der Arzt uns nicht weiterhelfen. Es wurden Test um Test gemacht, doch die Krankheit wollte sich damals nicht benennen lassen.

An einem Freitag abend zur Arbeit fahren wollte - ich war in der Lehre und Freitagsabend ging es in die Nacht bis um 8 Uhr am morgen -war meine Mutter wieder im Krankenhaus. Ich machte mich fertig um los zu fahren als mich mein Vater rief - Mist, war sowieso zu spät dran.

Er hatte die Unterlagen für´s Finanzamt zusammen und es sollte noch in dieser Nacht in den Briefkasten - um eine Frist noch einzuhalten.
Ich erklärte ihm kurz, daß es sowieso zu spät wäre - ich zu spät kommen würde. "Dann machst Du halt blau." war sein Kommentar.

Ich war erstaunt, doch dachte ich mir nur, welche Wege ich fahren müsse, damit mich etwaige Kollegen nicht sahen.
Anstatt mich zu freuen, hätte ich lieber misstrauig sein sollen. Vater ist einer von der alten Sorte - mit 40 ° Fieber kann man immer noch zur Arbeit gehen.
Es wird nicht besser, doch ist es allemal besser als sich im Bett rumzudrucksen.

Ich fuhr wie der Teufel und kam schon bald zurück. Das Fenster zum Wohnzimmer war auf und ich hörte meinen Vater mit meinem "Lehrmeister" sprechen.
Dann kam ein Satz, der mir das Lachen stahl; "Nein, Herr Kaiser; Heiko kommt heute nicht [...], es ist mir Scheißegal ! Meine Frau stirbt in 6 Monaten..."
Danach weiß ich nichts mehr wirklich - ich rannte hoch und fragte ihm, ob das stimmte. Danach verkroch ich mich und konnte nicht mehr aufhören zu weinen.

Die Zeit vergeht und man verdrängt es - ob man möchte oder nicht.

Mama kam wieder Nachhause und sie wollten in den Urlaub fahren. Die Ärzte sagten uns, daß alles sehr gut aussehe. - wir glaubten es.
Papa und ich haben aus ihrem Schlafzimmer ein Friesenzimmer gemacht - der Traum meiner Mum.

Doch wurde sie innerhalb von ein paar Wochen immer Schwächer. Die Treppe rauf ins Schlafzimmer konnte sie bald schon nicht mehr gehen. Also bauten wir das Schlafzimmer nach unten.

Einmal, Papa sah´s am Tisch und Mama schlief, hörte ich ihn weinen. Ich fragte ihn, was los ist.
Er wollte Mama helfen, Urlaub... doch erklärte er mir, daß Mama zu schwach sei...

Durch die Blume erklärte er mir, daß ich mich etwas mehr um Mama kümmern könnte. Er hatte es auch gemerkt, daß ich die Wahrheit nicht sehen wollte.
Mama kann nicht sterben. Sie war immer da - wenn irgend etwas war, konnte ich zu ihr kommen und sie nahm mich in den Arm, sah nach, wenn mir was weh tat...

Sie kann nicht so einfach...

Vatern packte mich an den Armen, rüttelte mich - versuchte mir klar zu machen: "Mama stirbt - geh noch mal zu ihr."

Ich ging zu ihr und ich hatte Angst. Sie lag dort und sah mich an - sie hatte alles gehört; wir redeten etwas  - sahen uns lange an. Bis sie nach Papa fragte.
Hol ihn - danach war ich in meinem Zimmer. Weiß nicht mehr was.

Eine Woche später kam ich von der Arbeit - hatte einen miesen Tag hinter mir.
Ich stellte mir ein paar Nudel auf den Herd und sah nach Mama - sie schlief.
Mit meinem Essen ging ich auf mein Zimmer und warf meinen Computer an.
Wollte mich ablenken bis ich meinem Vater schreien hörte "HEIKOO"
Ich dachte noch, was habe ich den jetzt wieder angestellt, doch je näher ich kam umso mehr konnte man es spüren.

Mein Vater kniete an dem Bett meiner Mutter und hielt ihren Kopf. Er weinte und sagte, sie stirbt...
Alles war wie in einem Traum - ich rief den Notruf; danach Oma und meine Schwester an.
Danach ging ich zurück ins Schlafzimmer; irgendwie stand ich hinter meinem Vater.

Mama lag dort. Sie sah meinen Vater an - dann mich. Sie nahm meine Hand, lächelte sah ihn wieder an und starb.

Irgendwann tauchte der Krankenwagen auf - ob Oma vorher, Sabine zuerst da war...keine Ahnung.
Ich lief zu einem Freund, der über die Sache bescheid wußte und wir gingen lange im Wald umher.

Bis wir wieder bei ihm waren. Ich sah den Krankenwagen vor unserer Tür. Hatte Angst.

Er sah mich an und meinte zu mir:"Ich kann Dir dabei nicht helfen - diesen Weg mußt Du alleine gehen.

Es ist nun 10 Jahre her und man erwischt sich selber manchmal, in dem man einfach in die Küche geht und hofft, daß sie dort steht. Ihr einfach zu sagen, was sie mir bedeutet hat. Danke zu sagen, daß sie mich so verwöhnt hat.                        


Danke sagen, dafür, das sie so ist, wie sie ist.

Nun ist es zu spät. Mama starb vor zehn Jahren und wenn ich mit bekomme, wie manche Leute mit ihrer Müttern umgehen, wünschte ich, ich könnte meine Mum nochmal sehen und mit ihr reden.

Geht zu euren Eltern und zeigt ihnen diese Story - sagt ihnen, was sie euch bedeuten.

Wartet nicht, bis euch jemand wachrüttelt.

Meine Mum wurde zu einer Erinnerung, die leider immer mehr abnimmt.
Sie wurde zu einem Foto an der Wand und einen Stein auf dem Friedhof.

Mir tut es leid - macht nicht den selben Fehler

Inge Mißfeldt   26.06.1996

                                                                      Heiko Mißfeldt

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